biographie



Bernhart Schwenk

Laudatio auf Hans Haacke aus Anlass der Verleihung des Roswitha-Haftmann-Preises 2017 am 31. Mai 2017 im Kunsthaus Zürich.

Es gilt das gesprochene Wort.

Die historische Situation, in der Hans Haacke aufwuchs, ist eine für seine Generation typische – und sie legt nahe, dass sich sein künstlerisches Schaffen genau darin begründet: 1936 geboren in Köln, in einem Deutschland, das ideologisch verblendet war, eine Kindheit im Zweiten Weltkrieg, Schule und Studium in der unmittelbaren Nachkriegszeit der 50er Jahre, in einem Klima, das die jüngste Vergangenheit verschämt verdrängte.

Doch halt – die Stadt Kassel, wo Hans Haacke sein Kunststudium aufnahm, war ein besonderer Ort. In der hessischen Provinz, im sogenannten Zonenrandgebiet und schon bald an der Mauer der damaligen DDR gelegen, fand dort seit 1955 eine ambitionierte internationale Kunstausstellung statt – die Documenta, ins Leben gerufen als ein bewusstes Zeichen der Weltoffenheit. Noch heute prägt Kassel das gegensätzliche Gefühl zwischen kleinstädtischer Enge und internationaler Aufgeschlossenheit. Sie spiegelt sich auch in den „Fotonotizen“, die der junge Hans Haacke als Student gemacht hatte.

(Walter Grasskamp, der diese Fotos im Documenta-Archiv fand, erkannte in ihnen Charakteristika des späteren Werk von Hans Haacke: einen skeptischen Blick auf die Welt und die Lust an der Kritik sowie daran, hohe Ansprüche genauer unter die Lupe zu nehmen.)

Es erscheint folgerichtig, dass Hans Haacke die Welt auch aus einer anderen Perspektive erleben wollte, als er mit 25 Deutschland verließ, um über Paris nach Amerika auszuwandern, um das scheinbar Fremde kennenzulernen und das scheinbar Vertraute mit Distanz zu sehen. Seit Anfang der 1960er Jahre lebt Hans Haacke in New York.

Hans Haacke ist zu einer Zeit nach New York gekommen, als Gesellschaft und Kultur im 20. Jahrhundert ihren wohl größten Umbruch erlebten, als Politik, Kommerz und Massenmedien das Alltagsleben fundamental veränderten – mit einem Epizentrum in genau dieser Metropole und einem Beben, das in den darauffolgenden Jahrzehnten ausstrahlte, vor allem nach Europa, die alte Heimat von Hans Haacke.

Die Jahre um 1970 in New York sind eine bewegte und bewegende Epoche, die Hans Haacke entscheidend mitgestaltet hat. Und sicher erlangte er in dieser Zeit auch deshalb Berühmtheit, weil seine Kunst sich nicht innerhalb der Kunstblase oder für eine Kunstblase artikuliert – sondern in direkten Austausch tritt mit der Öffentlichkeit, mit Politik und Wirtschaft.

Der gesellschaftliche Anspruch verbindet Hans Haacke übrigens mit Joseph Beuys, der zur selben Zeit in Deutschland seine „Soziale Skulptur“ entwickelt. Wie der 15 Jahre Ältere verbindet auch Hans Haacke sein künstlerisches Selbstverständnis mit Kommunikation und Partizipation. Haacke wird ein kompromissloser und gleichermaßen beliebter Lehrer. Zeit seines Lebens bleibt er der Vermittlung verbunden, dem Austausch mit Studierenden. Rund vier Jahrzehnte lehrte er an einer der bedeutendsten Kunsthochschulen der Vereinigten Staaten, der Cooper Union. Und noch heute ist er unterwegs, als Gastprofessor zwischen Berkeley und Hamburg.

Hans Haacke ist ein präziser Beobachter – und sein künstlerischer Blick richtet sich von Anfang an auf die Entwicklung physikalischer, biologischer und gesellschaftlicher Prozesse. Seine Werke machen nichts anderes, als diese Prozesse modell- und bildhaft vor Augen zu führen. Sie lassen so die Strukturen anschaulich werden, die ihnen zugrunde liegen und um die es Hans Haacke geht.

Dies geschieht anfangs auf vergleichsweise abstrakte Weise, im Sinne der zeitgleich entstehenden New Sculpture und der sogenannten Minimal Art. Zu den frühesten Arbeiten Hans Haackes gehört der „Kondensationswürfel“. Dazu brachte der Künstler Wasser in eine transparente Plastikbox ein, die er versiegelte. Auf Grund des Temperaturunterschieds kondensiert das eingeschlossene Wasser und bildet kleine Tropfen, die stetig wachsen und ab einer bestimmten Größe und Schwere in Bahnen ablaufen. Dieser Kondensationsprozess setzt sich kontinuierlich fort. Hans Haacke vergleicht diese Verhältnisse mit einem lebendigen Organismus, der flexibel auf seine Umwelt reagiert. Die Konstellation der Tropfen verändert sich mit einer inneren Notwendigkeit, aber auch unvorhersehbar und frei. In einem Interview hat Hans Haacke einmal über seine Arbeiten gesagt: „Es lässt sich nicht viel (dazu) sagen, weil alles einfach und klar ist. Man kann nur Beschreibungen liefern. Es gibt keine Geheimnisse.“

Ein System genau beobachten und mit der modellhaften Darstellung dieser Beobachtung eine Eigendynamik erzeugen – das gilt für so gut wie alle Arbeiten Hans Haackes. Auch der Beitrag für eine Ausstellung 1971 im New Yorker Guggenheim Museum, in das der erst 35jährige Künstler eingeladen wurde, ist das Ergebnis genauer Beobachtung – einer Recherche. New York, so beschreibt es Hans Haacke im Rückblick, war damals eine marode und bankrotte Stadt, die Häuser verfielen, der Central Park befand sich in einem desolaten Zustand. Doch es gab Profiteure dieses Zustands, die gleichzeitig zu weiterer Verelendung beitrugen: mächtige Immobilienholdings, die diese Situation systematisch ausnutzten und gewaltige Spekulationsgeschäfte dirigierten. Hans Haacke Haacke hatte Häuser in Manhattan fotografiert, die in der Reihung ein rhythmisiertes Muster bildeten. Man sah die immer gleichen Fenster, die immer gleichen Diagonalen der Feuertreppen. Allerdings ging es Haacke nicht um einen formalen Reiz: Jedes der gezeigten Häuser war im Besitz der Immobiliengruppe von Harry Shapolsky, zu der etwa siebzig Gesellschaften gehörten.

Hans Haackes Beitrag durfte nicht gezeigt werden. Dem Direktor des Guggenheim Museums, dessen Institution von den Zuwendungen Privater abhängig war, war diese Arbeit zu riskant. Als Haacke es ablehnte, die betreffende Arbeit aus der Ausstellung zu nehmen, wurde diese noch vor dem Aufbau kurzerhand komplett abgesagt – und der Kurator wurde entlassen Die sich anschließende Diskussion kreiste um die Frage, wo die Trennlinie zwischen Kunst und Politik verläuft beziehungsweise wer berechtigt ist, darüber zu entscheiden, ob eine politische Geste Kunst ist – beziehungsweise was Kunst darf.

Nun warf sich erst recht die Frage auf, wie eng die Protagonisten der Ausbeutung von Gemeinwesen und Öffentlichkeit mit den Förderern von Kunst und Kultur verbunden waren – auch wenn diese Frage in der Dokumentation nirgendwo ausgesprochen worden war.

Die Ausladung Hans Haackes aus einem der renommiertesten amerikanischen Museen hatte Folgen. Zu Recht begründete sie den Ruf Haackes als einen Künstler, der Dinge ausspricht. Zu betonen ist dabei, dass die Werke von Hans Haacke niemals werten, niemals einseitig Partei ergreifen – auch wenn das manchmal anders erscheint. Auch für die geplante Arbeit im Guggenheim hatte der Künstler im Grunde nichts anderes getan, als Fakten zusammenzutragen, die ohnehin öffentlich bekannt waren. Und was Haacke über ein anderes seiner Projekte sagte, gilt auch hier: „Ich überlasse es Ihnen, wie Sie die Situation bewerten. Sie setzen die Arbeit fort, indem Sie aus den angebotenen Informationen Ihre eigenen Schlüsse ziehen.“

Die Unruhe im Vorfeld und während einer Ausstellung von Hans Haacke war ab jetzt bei jeder Einladung zu berücksichtigen oder einzuschätzen, soweit das möglich war und ist. Ab nun konnte jeder Kurator, jeder Museumsdirektor selbst entscheiden, ob er die Offenlegung von Fakten mitzutragen bereit war oder nicht. Denn die Veröffentlichung stellt in gewissem Kontext ein Problem dar und ist daher nicht von allen erwünscht. Dabei gilt, wie Ingeborg Bachmann es 1959 so einfach wie eindrücklich formulierte: Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.
Zumutbar und notwendig ist künstlerische Kritik immer – und im Kunstbetrieb mit seinem moralischen Selbstverständnis allemal – so unbequem, entlarvend, kompliziert und bisweilen beschämend diese Kritik auch sein mag.

Vor den Tatsachen nicht gefürchtet haben sich die Kuratoren des Wallraf-Richartz-Museums 1974 in Köln. Hans Haackes Beitrag zu ihrer Ausstellung bestand aus nichts anderem als der Darstellung der Provenienz eines ihrer Museumsbilder. Es ging um das „Spargel-Stilleben“ von Edouard Manet. Auf zehn Tafeln doukumentierte Hans Haacke die Geschichte dieses Gemäldes, das noch heute in dem Kölner Museum hängt. Die nüchterne Aufzählung von allgemein zugänglichen Fakten hatte es in sich. Zunächst einmal revidierte sie, was einem herausragenden Kunstwerk gerne bescheinigt wird – nämlich Autonomie und Zeitlosigkeit. Spätestens hier wurde klar, dass auch der wechselnde Besitz eines Kunstwerks Bedeutung hat und Aussagen trifft über die jeweiligen Eigentümer:
Vorsitzender der Museumskomission, die das Bild von Manet gekauft hatte, war einer der prominentesten Bankiers und Kunstmäzene in der Bundesrepublik Deutschland. Jahrzehnte zuvor hatte er eine maßgebliche Rolle im nationalsozialistischen System und dessen Kriegswirtschaft eingenommen. Angesichts der vorwiegend jüdischen Vorbesitzer des Gemäldes war dies ein widersprüchlicher Umstand.

Für die Betrachter von Haackes „Manet-Projekt 74“ begann nun die eigentliche Kunst – nämlich die des Nachdenkens. Vielleicht beinhaltete dieses Nachdenken auch, dass Kunst immer ein politischer Akt ist. Selbst die Entscheidung von Manet, einem einfachen Spargelbündel ein Porträt zu widmen, war in gewisser Weise eine politische, da sie Konventionen erweiterte – weshalb das Bild ja gerade eine solch kunsthistorische Bedeutung erlangte.

Es sei nachgetragen, dass auch in Köln die Arbeit von Hans Haacke aus der Ausstellung entfernt werden musste – gegen den ausdrücklichen Willen der beiden Kuratoren. Dabei war auch diesmal keine Tatsache veröffentlicht worden, die nicht bekannt gewesen wäre oder die die Ausstellungsbesucher nicht in Büchern hätten finden können.

Hans Haacke wurde wiederholt auf die wichtigste Ausstellung zeitgenössischer Kunst, die Documenta in Kassel eingeladen – 1972, 1982, 1987, 1997.

1993 gestaltete er den Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig und wurde dafür mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Die Installation gehört zu den bemerkenswertesten der Biennale-Geschichte. Sie besteht darin, dass Haacke die Bodenplatten des Pavillons und damit das Flanierfeld der Ausstellungsbesucher aufbrach. Zum einen ist die Arbeit ein präziser Umgang mit dem Gebäude, dessen Gestalt aus dem Jahr 1938 von der Bundesrepublik Deutschland 1950 unverändert übernommen worden war – lediglich ein Hoheitsadler und Hakenkreuze an der Gebäudefront waren nach dem Krieg abgenommen worden.
Zum anderen präsentierte sich hier – vier Jahre nach dem Fall der Mauer und einer noch nicht wirklich umgesetzten Wiedervereinigung – ein Deutschland, dem der Boden entzogen ist oder dessen Boden neu definiert werden muss. Trümmerfeld und Katharsis.

Es erscheint geradezu logisch, dass Hans Haacke wenig später vom Deutschen Bundestag eingeladen wurde, eine Arbeit für das alte Reichstagsgebäude zu entwickeln. Auf dem Boden eines der Innenhöfe installierte er im Jahr 2000 einen rund 20 Meter langen Kasten, aus dessen Mitte in weißen Leuchtbuchstaben die Worte DER BEVÖLKERUNG nach oben strahlen. Sie beziehen sich auf die 1916 am Westportal des Reichstags angebrachte Inschrift DEM DEUTSCHEN VOLKE. Die Differenz der beiden Widmungen regt zum Nachdenken über Rolle und Selbstverständnis des Parlamentes an.

Seit dem Jahr 2000 dürfen die Bundestagsabgeordneten zu einem durch sie frei zu bestimmenden Zeitpunkt Erde aus ihren Wahlkreisen in den großen Bodenkasten einbringen. Die Einladung zur Beteiligung gilt auch für künftige, neu gewählte Abgeordnete. Der spontane frei wuchernde Pflanzenwuchs bleibt seither sich selbst überlassen. Die Vermengung der Erde aus allen Gegenden Deutschlands lässt daran denken, dass die im Parlament verhandelten Fragen alle Bürger gleichermaßen betreffen. Die Assoziation mit einer „Erdung“ liegt gleichermaßen nahe.

Abermals ist spürbar: Haackes Installationen beziehen sich immer auf ihr konkretes politisches, soziales und kulturelles Umfeld – und sie fordern Stellungnahme und Dialog mit dem Betrachter bzw. Benutzer heraus. Dieser Dialog ist Teil seines prozessualen Kunstwerks. Und das Insistierende, das Haackes Werk als Ganzes kennzeichnet, hat damit zu tun, dass Erkenntnis von jedem einzelnen Menschen selbst geleistet werden muss. Das Kunstwerk kann nur Mittler sein, Erkenntnis zu gewinnen. Hans Haacke formulierte es ganz persönlich: „Indirekt spricht durch meine Arbeiten, was ich mir für eine humanere Welt erträume.“

Anlässlich seines 80. Geburtstags im vergangenen Jahr wies Hans Haacke darauf hin, dass die Bedingungen für eine Kunst, die sich direkt mit politischen Fragen auseinandersetzt, noch immer schwierig sind. Er sagte – und ich zitiere sinngemäß: Wenn Künstler heute Punkte zur Sprache bringen, die wirklich den Nerv treffen, bei denen Leute nervös werden, dann sind die meisten Museen und andere Institutionen nicht bereit, so einen Künstler auszustellen, weil sie damit ihre Spender, Förderer und im Zweifelsfall auch die politisch Machthabenden vergraulen könnten. Es gibt daher in vielen Institutionen etwas, was man Selbstzensur nennen könnte. Und daran hat sich auch in Zeiten großer Freiheitlichkeit nicht wesentlich etwas verändert.

Eben aus diesem Grund, dass sich nicht viel verändert hat, hat Hans Haacke vor, sich weiterhin einzumischen. Um uns alle anzuregen, es ihm gleichzutun.

Es gibt daher keinen besseren Zeitpunkt als heute, das Werk von Hans Haacke zu würdigen. Es ist der richtige Zeitpunkt, daran zu erinnern, dass Hans Haacke zu den Pionieren einer gesellschaftlich verantwortungsbewussten Kunst zählt, der seit nahezu 60 Jahren zeigt, dass Kunst politisch sein kann und dennoch gute Kunst bleibt, indem sie die Betrachter anregt und manchmal auch aufregt.

Herzlichen Glückwunsch!